Keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge.

Hintergrund

Eine GmbH entrichtete die Lohnsteuer und die Umsatzsteuer für Juli 2021 erst am 20.8.2021, obwohl sie bereits zum 10.8.2021 fällig war. Den Säumniszuschläge von 1 % (28 EUR zur Lohnsteuer und 14 EUR zur Umsatzsteuer) für den angefangenen Monat berechneten beglich sie nicht.
Die GmbH legte gegen den entsprechenden Abrechnungsbescheid Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Das Finanzamt stellte das Einspruchsverfahren ruhend und lehnte die AdV ab.
Hierauf beantragte die GmbH die AdV beim Finanzgericht, welches dem Antrag stattgab und die Vollziehung des Abrechnungsbescheids bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung aussetzte.
Nach Auffassung des Finanzgerichts erschien die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge wegen des darin enthaltenen Zinsanteils ernstlich zweifelhaft.
Das Finanzamt wandte sich gegen die AdV des Abrechnungsbescheids durch das Finanzgericht mit der Beschwerde zum Bundesfinanzhof.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof gab der Beschwerde statt und hob den AdV-Beschluss des Finanzgerichts auf und lehnte damit die AdV ab. Der entscheidende VI. Senat hatte – im Gegensatz zum V. und VII. Senat – keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit und der Unionsrechtskonformität der verwirkten Säumniszuschläge. Außerdem fehlt es auch an dem im Streitfall erforderlichen (besonderen) Aussetzungsinteresse.
Nach der Auffassung des BVerfG verstößt § 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist daher verfassungswidrig, soweit er auf Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 Anwendung findet. Wgen einer Fortgeltungsanordnung für die Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ist der Zinssatz von 6 % p. a. allerdings erst für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 nicht mehr anwendbar.
Die Paragrafen § 233a AO und § 240 AO regeln unterschiedliche Sachverhalte. Die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll typisierend Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Die Nachzahlungszinsen sind dementsprechend also keine Sanktion oder Druckmittel, sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung. Säumniszuschläge sind demgegenüber ein Druckmittel, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Dadurch wird eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und ein Ausgleich für den Verwaltungsaufwand bezweckt. Aufgrund dieser Unterschiede kann die Entscheidung des BVerfG zur Vollverzinsung auf § 240 AO auch nicht allein wegen eines gedachten Zinsanteils der Säumniszuschläge übertragen werden.
Die Typisierung der Zuschläge der Höhe nach obliegt der “Einschätzungsprärogative” des Gesetzgebers. Die Höhe wäre dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn sie unter anderen Umständen mit dem Gesetzeszweck unvereinbar wäre. Davon ist aber – auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus – in diesem Fall nicht auszugehen. Weder lässt sich § 240 AO entnehmen, in welchem Verhältnis die vom Gesetz verfolgten Zwecke (Druckmittel, zinsähnliche Funktion, Verwaltungsaufwand) zueinanderstehen. Wegen dieser multifunktionalen Zielsetzung lässt sich der Zinsanteil nicht belastbar beziffern. Noch könnte selbst ein gedachter Zinsanteil von 0,5 % pro angefangenem Monat nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO führen. Denn ein Säumniszuschlag von 1 % für jeden angefangenen Monat wäre jedenfalls bei verspäteter Zahlung von Lohnsteuer und Umsatzsteuer verhältnismäßig, da die Lohnsteuer vom Arbeitgeber gewissermaßen treuhänderisch für den Arbeitnehmer eingezogen wird und die Umsatzsteuer im Kaufpreis enthalten ist.
Bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes erfordert die AdV grundsätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse an der AdV. Der Bundesfinanzhof hält an dieser Voraussetzung jedenfalls in einem Bagatellfall (weiterhin) fest, wenn ausschließlich verfassungsrechtliche Einwendungen gegen ein Gesetz erhoben werden. Der Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes gebietet das. Im Streitfall kann nicht angenommen werden, dass die Säumniszuschläge von insgesamt 42 EUR bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens für die GmbH zu einem irreparablen Nachteil führen könnten.